BREXIT & Information Management

24.06.2016

Sehr bedrückend, aber zu erst einmal Ruhe bewahren. Den großen Bruch werden sich weder Groß-Britannien noch die EU leisten können. Dennoch wird ein Exempel statuiert werden. Zumindestens wird es lange brauchen, bis neue Verträge die EU-Verträge ersetzen. Über politische und wirtschaftliche Konsequenzen wird aller Orten diskutiert - aber gibt es auch Auswirkungen für das Informationsmanagement? 

Ja, es gibt sie - oder es wird sie geben. Betrachten wir nur einige Felder, die durch den Austritt Groß-Britanniens aus der EU betroffen sein werden.

  • Da ist zuerst die Frage, ob England die aktuellen EU-.Richtlinien übernehmen wird - elektronische Rechnung, eIDAS, GDPR - um nur einige zu nennen. Nach einem Austritt muss UK nicht mehr. Aber wie es in der zweijährigen Übergangszeit aussieht, ist fraglich. Eins kann ganz gewiss gesagt werden: wenn Groß-Britannien Handel im Wirtschaftsraum treiben möchte, analog zu Norwegen und Schweiz, dann werden sie auch elektronische Signaturen aus dem EU-Raum, elektronische Rechnungen im EU-Format und die sanktionierten Datenschutzregeln umsetzen müssen. Daran führt kein Weg vorbei, denn die "Splendid Isolation" ist im globalisierten Handel keine Option für UK.
     
  • Datenspeicherung in der Cloud war immer ein kritisches Thema: wo liegen meine Daten, dürfen steuerrelevante Daten außerhalb Deutschlands gespeichert werden, usw.? Während sich innerhalb der EU hier Lockerungen und mehr Akzeptanz abzeichneten - besonders bei  europäischen multi-nationalen Unternehmen -, ist dies für Groß-Britannien ein erheblicher Rückschritt. Keine Firma aus der EU wird jetzt ohne Weiteres noch ihre wichtigen Daten in einer Cloud bei einem Unternehmen in Groß-Britannien speichern. Es gibt einfach zu viele rechtliche Unsicherheiten. Viele ausländische Unternehmen haben sich Firmen nebst Rechenzentren in den Staaten der EU zugelegt. Jetzt wird auch Groß-Britannien zum Ausland und muss sich entsprechende Repräsentanzen in der EU schaffen.
     
  • Software-Downloads von Servern in England - welche Lizenzrechte gelten dann dort zukünftig? Herkunftslandprinzip? Angefangen von großen Standard-Softwarepakten bis zur kleinen App gilt es nun die Lizenzverträge, die Service-Level-Agreements und die AGBs hervorzukramen, und zu gucken, was aus den Bedingungen für bereits gekaufte und für zukünftige, z.B. Updates, Software-Produkte wird. Hier wird es eine labnge Zeit Unsicherheiten bei den Bedingungen geben, die auf europäischen Gesetzen basieren. Auf "Rechtssicherheit" bei bereits abgeschlossen Verträgen zu spekulieren - wer will.  Man sollte sich zumindest von den Anbietern in UK bestätigen lassen, dass die bisherigen Verträge und Konditionen auch zukünftig Bestand haben. Wenn man die Produkte, SLAs und Wartungsverträge allerdings in Pfund zahlt, könnte es für eine Weile deutlich billiger werden.
     
  •  Unabhängig von der Handhabung bestehender Verträge für Informationsmanagement-Lösungen hat der BREXIT vielleicht auch Auswirkungen auf die zukünftige Auswahl von Software - zumindest in der europäischen öffentlichen Verwaltung. Bei europaweiten Ausschreibungen kann man dann die Angebote von UK.-Firmen einfach ignorieren. Ohne eigenständige Gesellschaften in den EU-Staaten werden sich die britischen Software- und Hardware-Anbieter in Zukunft deutlich schwerer tun.
     
  • Wie war das noch mit Mitarbeitern aus England in deutschen Softwarefirmen und europäischen Mitarbeitern in britischen Softwarefirmen. in UK sollen doch alle Ausländer (ja, auch die EU-Bürger sind zukünftig Ausländer), die weniger als 35.000 Pfund im Jahr verdienen raus? Wie wird es mit Aufenthaltsgenehmigungen in UK und der EU zukünftig aussehen. Lässt man das Thema einfach schleifen und ignoriert es oder kommt gerade die Frage ausländischer Mitarbeiter in englischen Firmen bei UKIP & Co ganz oben auf die Taskliste? Hier werden die Unternehmen die Politik massiv unter Druck setzen um den Abfluss von Knowhow-Trägern zu unterbinden. Europa ist hier aber gegenüber Groß-Britannien in deutlichem Vorteil.
     
  • Einen Bereich wird es aber sehr heftig "erwischen": Innovation, Forschung & Start-Ups. Wer will als Wissenschaftler aus dem Ausland noch in einem engstirnigen Groß-Britannien arbeiten, wo er von der europäischen Forschungs-Community abgeschnitten ist. Wer soll all die bisher von der EU geförderten Projekte und Stellen weiter zahlen, wenn Groß-Britannien nur sehr aufwändig und im Einzelfall Zugang zu den europäischen Forschungsprojekten erhält?  Will UK hier im eigenen Saft schmoren? Und der Schritt aus der Forschung in den Start-Up wird nicht leichter, wenn der europäische Marktzutritt nicht geregelt ist. Europäische Forschungsprojekte im Software- und Informationsmanagement-Umfeld werden ihre Standorte in Groß-Britannien aufgeben und in andere EU-Staaten umsiedeln. Viele in solche Projekte eingebundene Software- und Start-Up-Unternehmen werden mit auswandern. Dies ist ebenso abzusehen wie der Abzug der EU-Mitarbeiter aus UK.

Die Bewohner der Insel hatten die Wahl zwischen Groß-Britannien und Little England. Ich befürchte, es wird ein Little England dabei herauskommen, das für die Käufer innovativer Software-Produkte in Europa äußerst unattraktiv wird.

Ulrich Kampffmeyer

Kommentare

Auf Facebook hat Wolfgang Ksoll den obigen Beitrag "BREXIT & Information Management" kommentiert: http://bit.ly/28TZv4n. Meine Antwort:

Lieber Kollege Wolfgang Ksoll, vielen Dank für Ihren Kommentar und die aufgeworfenen Fragen zum Thema Datenspeicherung innerhalb der EU. Hier ist in der Tat meinerseits Klärungsbedarf notwendig, da ich zwei Themen zusammengepackt habe, die man auch getrennt hätte behandeln können (ich wollte das Thema aber nciht ausufern lassen). 

> Da ist zum Einen die Frage der Speicherung steuerrelevanter Daten außerhalb Deutschlands und Sie verweisen mit Recht auf die Lockerung in der Abgabenordnung,  §146 Absatz 2a aus dem Jahressteuergesetz 2010. In der Praxis hat sich gezeigt, dass es einem deutschen Tocherunternehmen einer französischen Mutterfirma durchaus genehmigt wurde, die aufbewahrungspflichtigen Daten im Rechenzentrum der Mutter in Paris zu speichern, wenn denn die Steuerprüfung uneingeschränkten Durchgriff in Bezug auf die Uswertbnarkeit erhält." Dies ging in der EU. England wird hier zukünftig nicht mehr dazugehören und besonders Unternehmen, die das Passporting nutzen, werden hier Probleme bekommen.

> Da ist zum Zweiten die Frage der Cloud. Wir sind uns einig, dass es verschiedene Arten der Cloud gibt, von public über hybrid bis zur private Cloud. Wichtige Daten konnte auch bequem in einer private Cloud eines englischen Anbieters speichern. Selbst wenn das Rechenzentrum in Deutschland sich befindet, wird durch die Rechtsraum der Firma hier ein graues, unsicheres Terrain geschaffen, das die Cloud-Anbieter aus England benachteiligen wird. Diese werden dann halt Unternehmen mit eigenen Rechenzentren im EU-Raum gründen (müssen).

In meinem Beitrag bin ich auf die möglichen Konsquenzen für die Briten eingegangen, aber ich möchte noch drei Aspekte hinzufügen, die internationale Auswirkungen aus Anbieter, die Auswirkungen auf die Arbeit von uns beiden in Deutschland und das Thema einheitlicher Wirtschaftsraum haben.

> Internationale Anbieter, besonders die aus den USA, gründeten Unternehmen und Niederlassungen in England, wenn sie in Europa Fuß fassen wollten. Ressourcen, Sprache, Kultur - all dies waren Faktoren, bei der "Eroberung" Europas von England aus zu starten, auch wenn später Einheiten in den verschiedenen Staaten Europas folgten.. Nun müssen sich diese Anbieter neue Strategien der Markterschließung überlegen, denn Groß-Britannien ist nicht mehr das Tor zur EU.

> Groß-Britannien hat in vielen Bereichen von IT und E-Government die Dinge pragmatischer gesehen als andere Staaten. Sie lieber Herr Ksoll haben selbst mehr als einmal darauf hingewiesen, wie einfach und dennoch sicher die geschäftlichen Abschlüsse mit England liefen/laufen - ordnungsgemäßer Footer in der E-Mail langt, nichts mit SIgnatur, De-Mail oder sonstigen Hindernissen. Die Brtiten waren die Unterstützer einfacher Lösungen, nicht nur bei den Signaturen sondern auch beim Thema E-Invoicing und E-Procurement. Nun sind sie raus. Und damit gewinnen die Verfechter von Sonderlocken - wie unsere deutschen Signatur-, sichere-E.-Mail- und ZUGFeRD-Spezies, mehr Gewicht in den Gremien. Hier werde ich die pragmatischeren Briten vermissen.

> Europäische Richtlinien haben die Grundlagen für einen gemeisnamen Markt und einen gemeinsamen Rechtsraum gelegt - auch wenn sie vielfach nicht kosnequent umgesetzt wurden oder sogar massiv überzogen waren. Dieser gemeinsame Rahmen wird zukünftigen Generationen fehlen und nach den aktuellen harten Verwerfungen wird eine Periode der "neuen Ruhe" eintreten, der die langfristigen Auswirkungen für die junge Generation in Europa überdecken könnte. Beide stehen schwächer da, die EU wie auch Großspurig-Britannien. In einer globalen Welt der Informationsnutzung gibt es keine nationalen Grenzen mehr. Und wir beginnen in Europa neue Grenzen zu errichten - physisch quer durch Irland, virtuell im Internet durch neue rechtliche Vorschriften, die - wenn sich noch andere zum Exit entschließen - dazu führen, dass Europa und die europäischen Einzelstaaten global keinerleit Rolle mehr spielen werden. In Punkto IT- und Kommunikationsprodukte und -angebote sind wir in Europa im Vergleich zu den USA und China bereits heute abgeschlagen (übrigens BREXIT meint auch "BRitain-EX-IT-player"). Und je uneiniger und weniger koordiniert die Europäer arbeiten, desto schlimmer wird es. Der BREXIT ist daher in seiner Wirkung auf die Rolle Europas und der europäischen Staaten gar nicht abzuschätzen, zumal sich Europa um andere wichtige Herausforderungen kümmern und nicht jetzt noch Personal für jahrzehntelange Verhandlungen abstellen muss (Grönland dauerte 3 Jahre). Allein im Umfeld der Regularien rund um Information, Kommunikation und IT sind es Hunderte. Stagnation, Ärger, Unsicherheit, Zeitverschwendung. Selbst die englische Spracheverliert an Stellenwert in Europa, wenn jetzt EU-Richtlinien nur noch für die Iren ins Englische übersetzt werden.

Mich persönlich trifft dies sehr, da ich in europäischen Projekten wie MoReq, Europeana und anderen die WIchtigkeit der Zusammenarbeit selbst erfahren habe und mitgestalten konnte. Mein Unternehmen profitiert von Europa (und leidet unter manchen Sonderlocken deutsch-nationaler Ignoranz). Ich habe viele Freunde in Groß-Britannien, die ausnahmslos (bis auf einen) gegen den BREXIT gestimmt haben. Sie wußten warum. Sie wußten aber nicht, dass sie unter dem falschen Banner angetreten waren. "Remain" war passiv, emotionslos, visionslos. Das Motto hätte besser lauten müssen "Forward - together with Europe". Dieses Banner müssen wir jetzt auch in Deutschland höher heben und den national-populistischen Entwicklungen entgegentreten.

Ulrich Kampffmeyer

 

Neuen Kommentar schreiben