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Man kann sich fragen, ob so eine Diskussion um irgendwelche Begriffe auch für Endanwender wichtig ist. Viele glauben, dass dies nur ein Geplänkel um die Deutungshoheit in einer sich wandelnden Branche ist. 
Unsere Meinung ist jedoch, dass diese Diskussion auch für Endanwender relevant ist.

Die Begriffe definieren direkt und indirekt auch den Stellenwert von Lösungen, Projekten und Personen in den Unternehmen.

Jeder kennt die Diskussionen, wie "wichtig" elektronische Archivierung oder sogar ein Archivar im Unternehmen ist ... nur eine Kostenstelle, kein neuer Kunde kann gewonnen werden, Archive und Archivare gehören in den Keller. Immerhin ist der Records Manager international ein angesehener und wichtiger Beruf - den es aber in Deutschland quasi nicht - oder nur sehr selten - gibt. Records Management hat so gesehen einen höheren Stellenwert im Unternehmen als elektronische Archivierung. Mit dem Akronym ECM wollte man sich um die Jahrtausendwende auf die gleiche Ebene hieven wie ERP, CRM, HR, PLM etc. Dies sollte die Bedeutung, die Wichtigkeit des Themas in den Unternehmen stärken. Allerdings wirkte ECM immer nur projektorientiert, da es nicht in einen Beruf oder eine Position in der Organisation mündete. Während Records Manager ein Beruf ist, endete ECM immer am Ende der Einführung einer Lösung im Nirvana. Die Klärung, wem gehört welche Information, wer ist zuständig, wer kümmert sich um die inhaltliche Pflege, ist daher in Projekten weiterhin immer eine Schlüsselfrage. ECM konnte so, auch auf Grund der Tatsache, dass selten ECM wirklich unternehmensweit eingesetzt wird, nie einen besonderen Stellenwert erreichen. Dennoch war ECM ein immer noch als wichtig angesehenes Thema, weil es nicht nur um Technologie sondern um Veränderungen im Unternehmen, neue Prozesse, Methoden und eine generelle Vision ging, alle Information im Unternehmen nutzbar zu machen. ECM beinhaltete in seiner Definition von Anfang an "Strategien, Methoden und Technologien". Und die Strategie ist das eigentlich Wichtige - Information erschließbar und beherrschbar zu machen, da wir zu 100% von der Verfügbarkeit und Richtigkeit von Information abhängig sind.
Sahen aber die CIO Chief Information Manager hierin eine Aufgabe oder waren sie häufig nur IT-Leiter? Hat ein CIO ECM als wichtiges Thema oben auf seiner Prioritätenliste gehabt? Macht ein CDO Chief Digital Officer dies besser? Spielte bei ihm ECM eine entscheidende Rolle? Bei beiden "C"-Positionen eher nein.
Die anderen dreibuchstabigen Akronyme hatten meistens eine höhere Bedeutung und zu dem ganze eigene Abteilungen, die sich nur um diese Lösungen kümmerten (ERP ... ich erinnere mich an einen Flur wo an Dutzenden Türen Schilder mit "SAP-xyz" klebten und ganz hinten zwei Türen mit "Non-SAP" beschriftet waren). Wir müssen akzeptieren, dass es der Branche in den letzten 15 Jahren in Deutschland nicht gelungen ist, das Thema ECM Enterprise Content Management ausreichend bekannt zu machen und zu positionieren.

Welchen Stellenwert werden nun aber Lösungen, Projekte und Personen unter dem Banner "Content Services" haben?

"Content Services" als Lösung wird irgendwo unter anderen IT-Maßnahmen als Dienste und Komponenten eingeordnet werden. Da hilft es auch nicht von "Content Services Applications" (Gartner) oder "Business Content Services" (Forrester) zu sprechen. Auch wenn es wirklich um notwendige Dienste geht, wird "Content Services" unter "ferner liefen" eingeordnet. Ein noch schlechterer Stellenwert als bisher ECM Enterprise Content Management.
Wenn es um "Content Services" Projekte geht, reduziert sich auch hier der Stellenwert im internen Wettbewerb um Ressourcen und Aufmerksamkeit der Führungsebene. Bei ECM gab es immerhin übergeordnete Strategien und umfassende ECM-Programme. Bei Content Services endet man bei einzelnen Funktionsgruppen, die irgendwie wo integriert werden. Ja, viele Funktionen sind Dienste auf der Ebene der Infrastruktur. Dennoch gilt es das große Bild nicht zu verlieren, denn es geht um die Veränderung von Nutzungsweisen, Prozessen, Organisation, Informationserschließung, Geschäftsmodellen und letztlich um die Rolle des Menschen im "digitalisierten Unternehmen".
"Content Services" wird nie - genauso wenig wie ECM - in eine Berufsbezeichnung münden (OK, es gibt den "ECM Master" als Zertifizierung der AIIM, aber ein (Chief-)ECM-Manager im Unternehmen? Nein). So wird es schon gar nicht einen "Content Service Manager" geben. Aber wie bereits erwähnt, gibt es natürlich auch im Unternehmen Rollen und Positionen, die sich mit dem Thema beschäftigen: der Informationsarchitekt, der Chief Information Officer und andere. Positioniert man nun ECM als wesentlichen Bestandteil von Information Management, erreicht man eher diese Ebene. Man findet Ausbildungsangebote, Hochschulabschlüsse, wissenschaftliche Literatur und anerkannte Berufsbilder. Vom Begriff allein ausgehend sind "Content Services" aus geschäftlich-strategischer Sicht ein Nebenkriegsschauplatz. Diejenigen, die sich von ihren Aufgaben her technisch oder in den Fachabteilungen fachlich mit Content Services beschäftigen müssen, sind hiervon abgeschnitten. Ihr "Stellenwert" und ihre Akzeptanz in der Organisation sind dann eher als "mäßig" zu beurteilen.

Endanwender sollten daher ein Interesse haben, wie zukünftig das Thema adressiert wird, da es auch die eigene Position als Mitarbeiter im Unternehmen betrifft.

Wenn man also ECM für tot erklärt (Gartner, siehe oben) braucht es eine neue Ausrichtung, die das Thema weiterhin identifizierbar macht und auch eine entsprechende Wertschätzung in Unternehmen, in Projekten und für Mitarbeiter mit sich bringt. All dies leistet "Content Services" nicht.

Ulrich Kampffmeyer